„Es geht um ein Dorf“, hatte der Bezirksvorstand der Diakonie am Telefon gesagt. „Es heißt Täuschberg und liegt im äußersten Süd-Osten. Oder genauer, im Länderdreieck Deutschland-Polen-Tschechien. Da ganz hinten in der Ecke sozusagen. Also so richtig in der Ecke. Direkt an der offenen Grenze. Also, danach kommt nichts mehr. Und davor eigentlich auch nichts.“

„Wie, nichts?“, hatte er gefragt.
„Nichts eben. Und das Dorf steht leer. Alle weg … Äh, nee, warten Sie, äh, eine Frau lebt da noch. Ja! Aber sonst, nee, sonst sind alle weggezogen. Keine Erwerbsmöglichkeit mehr für die Jungen. Verstehen sie? Die Älteren sind verstorben … Wollen Sie dahin?“
„Nee“, hatte Timo spontan geantwortet und dabei etwas unsicher gelacht.

Aber es war sein erstes Angebot, und nach einer Stunde hatte er noch einmal angerufen. Er wollte es sich zumindest einmal ansehen, mietete einen billigen Wagen und fuhr nach Täuschberg. Zum ersten Mal vorbei an der großen Esche.

Eine endlose Fahrt, so war es ihm vorgekommen. Nachdem er endlich Täuschenbach passiert hatte, fuhr er auf einem unberührten, zweispurigen Plattenweg fast zwei Kilometer durch eine verschneite Waldschlucht. Auf den Zweigen der Fichten oder Tannen lag dicker Schnee und drückte sie so weit hinunter, dass sie gegen seine Windschutzscheibe schlugen, und der Schnee ihm immer wieder die Sicht versperrte. Meist konnte er die Platten im Schnee ohnehin nicht erkennen. Manche hatten sich zusätzlich gesenkt, und er fuhr in tiefe Löcher. Langsam wurde er unsicher, ob das überhaupt der Weg nach diesem Täuschberg war. Kein Hinweisschild. Das GPS setzte auch aus. Kein Empfang.

Plötzlich eine scharfe Rechtskurve, in der überraschend ein fast blinder, runder Verkehrsspiegel stand. Schmutzig-weiß und rot umkränzt. Nach der Kurve eine leicht ansteigende Dorfstraße, an der hinter Vorgärten verlassene Häuser im grell weißen Schnee standen, vor sich hin standen oder besser vor sich hindämmerten und auf den endgültigen Verfall warteten. Langsam rollte er die Straße hinauf, hörte, wie die Räder den Schnee zerdrückten und hatte keine Lust auszusteigen.

Es war eine Siedlung von Umgebindehäusern, wie er erst später erfuhr. Die meisten Fenster waren mit Holz vernagelt worden. Doch viele der billigen Holzplatten hatten sich aufgewölbt oder hatten sich wieder gelöst und waren abgefallen.


 

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